Bedürfnisse hinter einem Kinderwunsch - ein genauer Blick bringt Klarheit und Selbstwirksamkeit
Ein Kinderwunsch ist das natürlichste der Welt. Ja. Und gleichzeitig ist es doch eine sehr komplexe Angelegenheit, die von vielen Seiten beeinflusst wird. Sei es das soziale Umfeld, die eigene Familie, die eigene Geschichte, die Gesellschaft, Normen, die so genannte biologische Uhr etc. etc. Es ist aus meiner Sicht sehr wertvoll, sich darüber bewusst zu sein, was genau ich mit meinem Kinderwunsch verbinde. Welche Bedürfnisse möchte ich mir erfüllen? Das klingt erst einmal komisch und stösst bei dem einen oder anderen auf Abwehr. „Ein Kind zu wollen ist doch das natürlichste der Welt?!“ Wir müssen uns erst einmal an den Gedanken gewöhnen, denn, es klingt so selbstbezogen. Ja. Und das ist völlig in Ordnung so. Ein Kinderwunsch lässt sich nicht nur biologisch erklären, sondern es stehen oft unglaublich viele, sehr individuelle und auch tiefliegende und unbewusste Bedürfnisse, Wünsche, Hoffnungen hinter einem Kinderwunsch. Gerade deshalb trifft es uns mit so großer Wucht, wenn es schwierig ist, ein Kind zu bekommen oder wenn dies gar unmöglich ist
Und deshalb ist es so lohnenswert, sich die Mühe zu machen, genauer hinzuschauen. Auch wenn der Prozess schmerzlich sein kann.Denn in genau diesen Bedürfnissen liegt ein unglaubliches Potential, selbst wirksam zu werden. Und auch alternative Pläne zu schmieden. Dem sei zuvorgestellt, dass jeder, der auf seiner Kinderwunschreise ist, an einem anderen Punkt steht. Und nicht immer macht diese Arbeit Sinn. Deshalb ist es so wichtig, sich professionelle Unterstützung zu holen. Um zu sehen, was genau jetzt sinnvoll ist, was unterstützt, welche Entscheidungen jetzt anstehen. Dennoch ist es mir ein Anliegen, den Gedanken dieser Methode in die Welt zu tragen.
Nun nehmen wir uns mal ein konkretes Bedürfnis heraus, das viele Frauen und Paare haben, die sich ein Kind wünschen. Ein auf den ersten Blick banales Bedürfnis: „Ich will einfach dazu gehören, alle haben Kinder, also will ich auch eins“. Hier geht es also um Zugehörigkeit. Wir wollen dazu gehören. Das ist gar kein banales Bedürfnis, das ist ganz im Gegenteil ein ganz existentielles Bedürfnis. Schauen wir mal drauf. Ich gehöre also aktuell nicht zu den Frauen, die schwanger sind oder ein Kind haben. Das ist erst einmal sehr schmerzvoll. Und dieser Schmerz braucht Zeit und Raum, um gefühlt zu werden. Das ist mir an dieser Stelle sehr wichtig. Erst wenn dies geschehen ist, können wir uns auf den nächsten Schritt überhaupt einlassen. Nämlich zu schauen: Wo kann ich sonst noch Zugehörigkeit erleben? Wo erlebe ich vielleicht schon heute Zugehörigkeit? Vielleicht bin ich Mitglied in einer Volleyball Gruppe. Oder im Reitverein. Oder ich fange an, Gitarre im Musikverein zu lernen und erlebe es, dazu zu gehören. Natürlich kann ich auch innerhalb des unerfüllten Kinderwunsches Zugehörigkeit erleben, so etwa in Selbsthilfegruppen für Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch. Manchen Betroffenen hilft es, in beiden Bereichen den Wunsch nach Zugehörigkeit zu erfüllen.
Stillt das mein mit dem Kinderwunsch verbundenes Bedürfnis nach „dazu gehören“ komplett? Nein, da gibt es nichts zu beschönigen. Und gleichzeitig gibt es eine innere Klarheit, das Bedürfnis zu kennen; zu wissen, dass ich es jetzt gerade nicht ganz erfüllen kann. Es gibt ein Gefühl von Selbstwirksamkeit, einen Weg aus der Machtlosigkeit, wenn ich selbst dennoch ins Tun kommen kann. Wir sind nicht machtlos. Es fühlt sich oft so an. Und diese Tage oder Wochen darf es auch geben. Manchmal ist es auch nicht der richtige Moment, um den Gedanken zulassen zu können, dass meine Bedürfnisse, die hinter dem Kinderwunsch stecken, auch außerhalb dessen – zumindest in Nuancen - erfüllt werden können. Und, selbst wenn ich entscheide, dass ich den Gedanken nicht zulassen möchte, dass der Schmerz zu groß ist und noch Raum braucht, dass ich noch nicht loslassen kann um genauer hinzuschauen, so kann doch die Übung alleine einen Abstand zwischen mir und dem Schmerz schaffen. Ich kann auf mich schauen. Ich lerne zu verstehen, warum mein unerfüllter Kinderwunsch so unglaublich hart ist, so schmerzhaft. Weil eben so viele, so existentielle Bedürfnisse dahinter stehen.
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