Fehlgeburt in den ersten 12 Schwangerschaftswochen – 5 wichtige Dinge, die Viele nicht wissen
Am 18. November ist es wieder so weit. Vor drei Jahren habe ich irgendwann zwischen der 10. und 11. Schwangerschaftswoche mein Baby verloren. Im Alter von knapp 45 Jahren. Erst habe ich meine Schwangerschaft nicht bemerkt und dachte ich bin in der Menopause. Dann konnte ich es nicht glauben. Und als ich mich getraut habe, es zu glauben, stellte die Frauenärztin in der 12. Woche fest, dass das Herzchen nicht mehr schlägt. Der bislang schlimmste Tag meines Lebens. Doch, darüber möchte ich heute nicht sprechen. Das tue ich ein anderes Mal. Schreibt mir gerne, wenn Euch das interessiert.
Fehlgeburten sind brutal. Niemand sollte da alleine durch gehen. Heute möchte ich mit Euch meine Gedanken und Ressourcen teilen, die Euch helfen können, diese Krise zu bewältigen. Vor allem schreibe ich für die, die ihr Kind in den ersten 12 Wochen verloren haben. Warum? Weil das durch unser Umfeld und oft auch durch die Betroffenen selbst (sich gegenseitig beeinflussend) oft herunter gespielt wird. „Es war doch noch garkein richtiges Kind“ bis zu „bestimmt war es behindert, seid froh, was Euch da erspart geblieben ist“ müssen sich Eltern von Sternenkindern so Einiges anhören. Das führt oft dazu, dass Betroffene sich ihre Trauer und ihren Schmerz nicht zugestehen, dass sie nicht darüber sprechen und sich auch keine Hilfe holen und – das ist der wichtigste Punkt – von ihren Rechten keinen Gebrauch machen. Und genau diese Rechte können aber helfen, durch die Trauer hindurchzugehen. Immer wieder habe ich Frauen in meiner Kinderwunschberatung, die sich Jahre später noch fragen, was eigentlich mit ihrem fehlgeborenen Kind passiert ist und hätten es vielleicht gerne selbst entschieden, was mit dem Baby passiert oder es gerne zuhause bestattet. Das kann den Trauerprozess erschweren und kann auch die nachfolgenden Schwangerschaften beeinflussen.
1 - Ausschabung oder kleine Geburt zuhause – es ist Euer Weg und in vielen Fällen könnt Ihr entscheiden
Ausschabung (fachl. Curettage) oder Abwarten? Dazu wurde schon sehr viel geschrieben und ich möchte dazu Folgendes sagen: Wenn es sich nicht um einen Notfall handelt (Eure Frauenärztin bzw. das Krankenhause werden Euch dazu beraten!), dann nehmt Euch Bedenkzeit und entscheidet dann, was für Euch der beste Weg ist. Manchmal gibt es keine Alternative zur Ausschabung, aber sie muss vielleicht nicht am nächsten Tag sein sondern einen Tag später, so dass Ihr Euren Schock erst einmal etwas verdauen könnt, Euch verabschieden könnt. So kommt Ihr in einer Situation der absoluten Hilf- und Machtlosigkeit mehr in Eure Kraft, indem Ihr einwirkt. Vielleicht gibt Euch das medizinische Personal die Alternative, dass Ihr selbst zuhause abwartet, bis Euer Kind von selbst Euren Körper verlässt bzw. der Körper es entlässt. Prüft das für Euch. Womit fühlt Ihr Euch wohler? Denkt immer nur im nächsten Schritt. Was ist jetzt am Besten. Selbst wenn Ihr erst einmal entscheidet, unter ärztlicher Beobachtung abzuwarten, bis Ihr das Gefühl habt, dass Ihr Euer Kind jetzt gehen lassen möchtet, dann könnt Ihr immer noch eine Ausschabung machen. Wie gesagt, immer nur mit gynäkologischer Freigabe. Ich möchte Euch hier einen Blog einer Hebamme verlinken, die hierzu mehr schreibt: https://www.hebammenblog.de/die-kleine-geburt-ein-fehl-geburtsbericht/
2 - Ihr habt einen Anspruch auf eine Hebamme, egal, wann Ihr Euer Kind verloren habt
Das bringt mich zum zweiten Punkt. Ihr habt, egal, wann Euer Kind gestorben ist, einen Anspruch auf eine Hebamme. Viele meiner KundInnen denken, sie hätten nicht das Recht darauf. Es gäbe doch viel schlimmere Verluste. Wie schlimm ein Verlust sich anfühlt, hat nicht unbedingt etwas mit der Schwangerschaftswoche zu tun, sondern mit vielen anderen Faktoren. Etwa, ob es schon ein Kind gibt oder, wie lange die Betroffenen auf das Kind gewartet haben oder auch, wie sehr sie damit gerechnet haben, bald schon ein Kind in Händen zu halten. Von daher möchte ich alle Betroffenen ermutigen, sich von einer Hebamme helfen zu lassen. Übrigens auch dann, wenn ihr vorher für diese Schwangerschaft noch keine hattet. Das kann also der erste Anruf bei einer Hebamme sein. Lasst Euch nicht entmutigen, wenn Ihr auf der Website der Hebammenpraxis keinen Hinweis findet. Die meisten Hebammen sprechen auf ihren Websites nicht über das Thema Fehlgeburt. Obwohl es so oft passiert.
3 - Sprecht mit wertschätzenden (!) Menschen über Eure Fehlgeburt
Das ist aus meiner Sicht der wichtigste Punkt. Sprecht mit Eurem Partner, Eurer Partnerin, sprecht mit Eurer Familie, wenn Ihr da eine gute Beziehung habt und aufgefangen werdet, sprecht mit Euren Freunden, Euren Freundinnen. Wichtig ist, dass Ihr das, was in Euch ist, dass das nach außen kommen kann. Es klingt banal und ist essentiell. Es gibt einige Vereine, die ich unten noch verlinken werde, dort gibt es Seelsorger und auch Gruppen mit Menschen, die die gleiche Erfahrung gemacht haben. Aus Gesprächen mit meinen KlientInnen weiß ich, dass in dem Moment, in dem sie sich im Freundeskreis geöffnet haben, auf einmal herauskam, dass es Freundinnen gibt, die auch eine oder sogar mehrere Fehlgeburte hatten. Das ist sehr stärkend und sehr entlastend. Ihr seid nicht alleine.
4 - Ihr könnt Eurem Sternenkind offiziell einen Namen geben
Mit der gesetzlichen Neuregelung im Umgang mit "Sternenkindern", die im Mai 2023 in Kraft getreten ist, haben Eltern die Möglichkeit, die Geburt beim Standesamt dauerhaft dokumentieren zu lassen. Und zwar unabhängig davon, wie alt oder schwer das tot geborene Kind war. Diese Regelung gilt übrigens auch rückwirkend, also, wenn Ihr Eure Schwangerschaft vor Inkrafttreten des Gesetzes verloren habt. Betroffene benötigen für den Eintrag lediglich einen Personalausweis oder ein anderes amtliches Identitätspapier. Um die Fehlgeburt nachzuweisen, kann ein Mutterpass oder eine ausgestellte Bescheinigung einer Ärztin oder Hebamme dienen. Wenn Ihr das Geschlecht des Kindes nicht wisst, was ja gerade bei den früh verlorenen Kindern der Fall ist, dann könnt Ihr entweder einen neutralen Namen geben oder nach Gefühl einen Namen vergeben. Die meisten Eltern habne nach meiner Erfahrung eine Ahnung bezüglich des Geschlechtes. Das Geschlecht nicht zu wissen bzw. nachweisen zu können, ist also kein Hindernis. Vielen meiner KundInnen hat es geholfen, ihrem Kind so einen festen Platz und eine Existenz zu geben. Denn gerade die frühen Schwangerschafstverluste werden durch unüberlegte Kommentare und auch durch unsere Gesellschaft leider allzuoft klein geredet. Hier findet Ihr mehr Informationen dazu: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/familie/sternenkinder-75368. Aus diesen Texten habe ich mich auch bedient.
5 - In allen Bundesländern habt Ihr das Recht, Euer Sternenkind zu bestatten
Das Bestattungsrecht ist in Deutschland Sache der Bundesländer und ist im jeweiligen Bestattungsgesetz geregelt. Dabei unterscheiden sich die Gesetzesvorgaben der einzelnen Bundesländer erheblich. Gerade wenn Betroffene noch unter Schock stehen, ist es oft schwierig, die eigenen Rechte zu durchblicken. Hier kann auch eine Hebamme helfen, die diese Rechte kennt. Im Mittelpunkt steht die Frage nach dem Bestattungsrecht und der Bestattungspflicht. Ein Bestattungsrecht, das Kind individuell über einen Bestatter beerdigen zu lassen, haben Eltern in allen Bundesländern, egal wie alt oder schwer das Kind ist. Außerdem gilt seit 2005 für alle Sternenkinder, die unter 500g oder vor der 24. Woche geboren wurden, eine Bestattungspflicht für die Kliniken. Von den meisten Kliniken gibt es ein Sternenkindergrab. Dort wird in der Regel zweimal jährlich eine gemeinsame Bestattung sowie eine Gedenkfeier für die Eltern und Angehörigen organisiert. Ich habe mein Sternenkind damals über die Klinik in einem Sternenkindergrab bestatten lassen. Ich bekam keine Informationen von der Klinik selbst. Vielmehr habe ich mich gestärkt gefühlt durch meine Hebamme (die ich auch erst hatte, nachdem ich mein Kind verloren habe) und den Verein „Verwaiste Eltern und Geschwister München“ (https://www.ve-muenchen.de/) und habe meine Klinik über mehrere Tage immer und immer wieder angerufen, bis ich herausfand, wer dort für die Sternenkinder zuständig ist und wie der Prozess läuft. Ich habe dann an die verantwortliche Hebamme ein kleines Stoff-Herzchen schicken lassen, das mir ebenfalls von obigem Verein zur Verfügung gestellt wurde (tausend Herzchen an Euch). Dieses wurde mit in die Urne gelegt, in der mein Sternenkind mit all den anderen Sternenkindern bestattet wurde. Das Bild findet Ihr in diesem Beitrag. Dieses Gefühl, etwas tun zu können, Einfluss zu nehmen, von meinem Recht Gebrauch zu nehmen und selbst zu entscheiden, wie ich es haben möchte, hat mir sehr geholfen, einen gesunden Trauerprozess zu durchlaufen.
Hier nochmal eine gute Übersicht über die rechtliche Lage in den einzelnen Bundesländern: https://www.aeternitas.de/fuer-betroffene/bestattungsrecht/themensammlung/sternenkinder-uebersicht-bundeslaender
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